Vortrag von Nino Weinstock über das „Radical Painting“ anlässlich der
Ausstellungseröffnung „armin simon – farbe, farbe und nichts als farbe?“

Meine Damen und Herren!

Wenn Sie auf dem Klavier einen besonders schönen Akkord anschlagen, bestehend aus einzelnen Tonwerten, so ist das vergleichbar einem Nebeneinander und Miteinander von Farben. Die Farbtöne und auch die Grösse der jeweiligen Farbfläche werden vom Erzeuger festgelegt. Die Farbe wird aus der Tube oder der Büchse oder aus einem Beutel voller Pigmente geholt und aufgetragen. Diese Aufteilen einer Fläche zu Farbklängen wurde in den 30er und 40er Jahren praktiziert. Ich halte diese Malart für die „frühe“ Zeit der ungegenständlichen Kunst. Die Künstler tappten noch durch die Anfänge. Sie hatten zwar gelernt, „nichts“ zu malen, versuchten jedoch mit dieser neuen Sprache „etwas“ auszudrücken. Ein europäisches ABC, das die Amerikaner erst nachäfften und später auf grossartige Weise überwanden. Und – das ist wichtig – die amerikanischen Künstler entwickelten den Abstrakten Expressionismus nicht peu a peu aus der Abstraktion
heraus, sondern in wenigen schnellen Schritten aus der Gegenständlichkeit. Denn schon Rothkos gegenständlichen Subway – Bildern ist der ganze Rothko enthalten. Und in Richard Diebenkorns Akten ist deren Abstrahierung schon angelegt. Noch eine Feststellung: Kandinsky beginnt seine Gedankensammlung aus jenen heroischen Tagen unter dem Titel Über das Geistige in der Kunst mit der richtigen Feststellung: “Jedes Kunstwerk ist ein Kind seiner Zeit“. Also: Die Kunst einer Zeitperiode kann nicht wiederholt werden. Und gerade die europäischen Abstrakten haben sich über Jahrzehnte wiederholt. Auch in Paris wurde unter dem Titel Ecole de Paris variiert und wiederholt bis zum Gehtnichtmehr. Das war der wirkliche Grund, warum Paris seine Vorherrschaft in der Kunst verloren hat. Stellen sie sich vor, jemand würde heute kubistische Bilder malen. Wir hätten doch bloss ein verzeihendes Lächeln für ihn übrig. Nein. Jede Malergeneration baut auf dem Bestehenden auf und bringt es weiter. Das ist nicht kopieren, sondern den Weg der Malerei weitergehen. Die Malerei, von der hier die rede ist, ist Malerei unserer Zeit. Wenn Sie nach Kassel oder Venedig pilgern sehen Sie andere Kunst unserer Zeit. Wir reden hier von der Malerei. Die Entwicklung dieser Art Malerei setzt in den 70er- Jahren ein, in Europa und in den USA gleichzeitig. Was vorher war, die sogenannten Vorläufer oder Wegbereiter wie Rodchenko oder Yves Klein oder der frühe Rauschenberg wollten etwas ganz anderes. Erst nach dem Abstrakten Expressionismus wurde aus der mehr oder weniger monochrom aufgetragenen Farbe ein Fest der monochromen Farbigkeit. Was ist der Unterschied? An und für sich keine Neuerfindung. Schon in den ersten Tagen der Renaissance – Malerei hatten die Maler, die auf ihren Altären Begebenheiten des neuen Testaments darzustellen hatten, das Problem der Blick – Reihenfolge zu lösen. Es ging ja nicht an, dass der Andächtige vor dem Altarbild zuerst die Landschaft oder eine Katze auf dem Dach oder einen Bediensteten ins Auge fasste. Was muss man zuerst sehen? Die heilige Familie natürlich. Als zweites die Heiligen. Als drittes vielleicht ein Attribut oder eine erste Etappe der biblischen Begebenheit. Es gab zwei Möglichkeiten, den Blick der Betrachter in eine gewollte Reihenfolge zu bringen. Man konnte das mittels der Komposition tun, also mit Schnittlinien und Diagonalen arbeiten, oder aber man gab gewissen Farben, dem Gewand Marias zum Beispiel, eine besondere Leuchtkraft. Und wie verleiht ein Maler einer Farbe Leuchtkraft? Entweder durch aussergewöhnliche Pigmente, teure Farben, von denen ihm Auftraggeber bloss wenig bewilligt war, oder durch Untermalungen, Farbschichten, Kreidegrundierung, so dass das eindringende Licht stärker reflektiert und mit Farben gesättigt wird. Es gab damals noch ein Mittel, ein wunderbar makelloses, eine Person auf dem Bild auszuzeichnen: das in grosszügigen Falten in wunderbaren Farben gemalte Gewand. So eine Farbfläche dominiert das gemalte Werk. Zurück zu unseren monochromen Malern. Nach dem abstrakten Expressionismus hatte sich die Kunstgeschichte ja geradezu überstürzt mit neuen Ismen: Pop Art, Minimal Art, Land Art, Konzeptkunst, Prozesskunst, Performance, etc. Es blieb der atemlos voranschreitenden Kunst erst einmal gar keine Zeit, sich mit der Wirkung des Abstrakten Expressionismus auseinander zu setzen. Erst Mitte der 70er – Jahre brachte sich der Abstrakten Expressionismus so sehr ins Blickfeld, dass Maler von hier aus ihr eigenes Abenteuer Malerei starteten. Erst waren es wenige, man traf sich in New York, eine Ausstellung in Williamstown kam 1984 zu stande, eine Bezeichnung wurde gesucht und mit Radical Painting auch gefunden. Mitte der 80er- Jahre war das Feld dann abgesteckt, die  Malerpersönlichkeiten hatten sich herausgeschält, Einzel- und Gruppenausstellungen in Amerika und Europa wurden die Regel. Unter dem Kürzel monochrom wurden sie vorgestellt. Wobei natürlich fast keines der Bilder monochrom ist. Dazu entwickelten sich zu viele persönliche Techniken und Theorien. Einzige Gemeinsamkeit: Die Farben wurden in Schichten übereinander gelegt. 10 Schichten, 30 Schichte, 100 Schichten. Wenn das richtig gemacht wird kann man das Phänomen aus der aus der renaissance wieder erleben: Die Farbe leistet mehr als das Farbmaterial, das aus der Tube, Büchse oder dem Beutel nimmt. Im Oktober 1988 versuchte das Museum in Lyon Bilanz zu ziehen in der Ausstellung La Coeleur seule. Was dabei herauskam bezeichne ich als ein Sammelsurium und es war ein grosses Missverständnis. Im Zentrum der dort als Ausgangspunkt gezeigten monochromen Arbeiten von Rodchenko oder Malewich steht nicht die Farbe, sondern die geometrische Form. Rymans monochrome Arbeiten sind Teil eines Bild/Wand – Konzeptes. Yves Kleins blaue Bilder sind eingefärbte Gegenstände: die Nike aus dem Louvre, die nackten Mädchen, manchmal auch eine Leinwand, die damit zum Objekt wird. Auch bei Kelly: erst die Form, dann die Farbe. In jener Ausstellung in Lyon wurde einfach alles versammelt, was wenig Farbe aufweist. Ein Missverständnis nahm damals seinen Anfang, das bis heute nicht ausgeräumt wurde. So geht das nicht. Die Fachleute machen es sich da zu einfach. Ich weigere mich, Pollock einmal bei den Monochromen, dann wieder bei den
Abstrakten Expressionisten und schliesslich neben dem alten Monet zu finden Ich möchte sie auf die Vielfalt der persönlichen Techniken und auf den Reichtum der den Werken zugrunde liegenden Thesen hinweisen. Es gibt meiner Meinung nach kaum eine Malereirichtung, die so vielseitiges Kunstwollen aufweist. Ein Blick über Persönlichkeiten des Radical Painting bestätigt das. Marcia Hafif zum Beispiel untersucht innerhalb eines Konzeptes seit 1973 den Inhalt von Farbbehältern, zum Teil am Ort der Ausstellung gekauft, in dem Sie die Farbe auf Holz oder Leinwand aufträgt. Jedes Bild seither ist Teil dieses Konzeptes. Rudolf de Crignis legte in die Mitte seiner ca. 30 Schichten eine andere, später sogar mehrere andere Farben. Joseph Marioni plant ein Bild präzise, bevor er die verschieden eingefärbten und auch verschieden stark gesättigten Schichten in einer bestimmten Reihenfolge vertikal über die Leinwand fliessen lässt. Günter Umberg fixiert das vorher gemischte Pigment mit Damarharz auf den Untergrund aus Holz und Metall. Stephan Baumkötter arbeitet Ölkreide auf der Leinwand ineinander. Peter Willen legt unzählige Schichten einer Eitempera – Farbe übereinander. Tom Bensons Farbschichten sind gar nicht mehr zu zählen. Und Fred Thursz trug seine Farbschichten heiss auf, zum Teil mit einem Lappen, so die Schichten miteinander verschweissend. Übrigens, das mit dem Lappen habe ich mit der Lupe auf einem meiner Bilder gefunden, wo der Abdruck des Lappen noch deutlich sichtbar ist. Ich könnte noch lange weiterfahren. Man könnte zum Beispiel von den Malunterlagen sprechen, Metall, MDF, Seide, Leinwand, Wabenmetall für den Flugzeugbau. Ein vielseitiges Thema. Anna Leonie aus München zum Beispiel verwendet bloss harte Unterlagen. Die reagieren ganz anders auf den Druck des Pinsels. Doch lassen Sie mich, bevor ich Sie die wunderbaren Bilder von Armin Simon anschauen lasse, ein Wort zu den Seitenrändern dieser Art Bilder sagen. Ein spannendes Thema, über das die Maler viel zu sagen haben. Ein Bild malen heisst ja Entscheidungen fällen. Unzählige Entscheide fallen während der Arbeit an einem Bild. Phil Sims hat einmal gesagt: „Wenn mein Pinsel die Leinwand berührt, so berührt er die Geschichte der Malerei“. Das ist bei jedem Künstler, der ehrlich zu seiner Kunst ist, so. Doch ich wollte noch etwas zu Vorderfläche und Seite sagen. Denn die Seiten eines Bildes sind sichtbar. Auch hier hat jede und jeder eine Idee und eine eigene Technik. Phil Sims malt seine Farbfläche vorne aufs Bild, wobei sich seine Farbschichten der Bildkante bloss annähern. Renate Balda bemalt nur die Vorderfläche und hinterlässt dabei malerisch mit Farbe bespritzte Seiten. Marc Angeli hat den zu bemalenden Holzklotz vor sich liegen, so dass die Farbe seitlich Tropfen hinabfliesst. Bill Gruner aus Australien ( sie sehen wie weltumspannend das Netz dieser Maler ist ) bedeckt die runde Kante des Bildes noch mit Farbe. Sonja Costantini bemalt auch die Seiten des Bildes. Auch bei diesem Thema könnte ich endlos weitererzählen. Doch ich möchte Sie jetzt zu den Bildern entlassen. Es sind wohltuende Bilder und es sind attraktive Bilder. Ich kann das behaupten. Denn zwei hängen bei mir zuhause und ich betrachte sie jeden Tag, morgens und abends. Da sind wir schon beim nächsten Thema. Dem Licht. Klar, das die Bilder sich je nach Tageszeit und Tageslicht verändern, zum Leben erwachen oder ruhen. Wer das erleben will, Tag für Tag, über Jahre, sollte sich eines mitnehmen.
Nino Weinstock.
11.09.07

 
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